Abhängigkeit/Sucht aus psychologischer Sicht

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Sucht als einen Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, der durch einen wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder chemischen Substanz verursacht wird und der für das Individuum oder die Gemeinschaft schädlich ist. Dem Begriff werden unterschiedliche Bedeutungsinhalte zugeordnet, wie Krankheiten, Verhaltensstörungen, negative menschliche Eigenschaften, exzessive Verhaltensweisen und vieles mehr. Aufgrund dieser Mehrdeutigkeit hat die WHO 1968 beschlossen, den abgenutzten Begriff Sucht („addiction“) durch den treffenderen Begriff der Abhängigkeit („dependence“) zu ersetzen. Abhängigkeit kann als dominierendes Verlangen oder zwanghaftes Bedürfnis charakterisiert werden und/oder als das Angewiesensein auf bestimmte Substanzen, die psychische Prozesse und somit das Verhalten beeinflussen, indem sie das bewusste Erleben zeitweise verändern. Das Spektrum reicht von einfachen Gewohnheiten bis hin zur süchtigen Persönlichkeitsentwicklung. Durch die typischerweise euphorisierende Hauptwirkung des Suchtmittels wird eine als unbefriedigend empfundene Situation vorübergehend durch Flucht in eine Scheinwelt verbessert. Die anschließende Ernüchterung durch die Konfrontation mit der Realität lässt einen Teufelskreis entstehen, dessen Hauptelemente das unbezwingbare Verlangen nach dem Suchtmittel („Craving“) und der Kontrollverlust, das Nicht-mehr-Aufhören-Können (Abhängigkeit), sind. Süchtigem Verhalten wird eine selbstzerstörerische Komponente zugeschrieben (protrahierter Suizid).

Toleranz – Abhängigkeit – Sucht

Einmal im Gehirn angelangt, binden sich die Wirkstoffe der Rauschdrogen an Rezeptoren in den Synapsen und hemmen oder stimulieren bestimmte physiologische Vorgänge. Auf diese Weise können sie tief in das Kommunikationssystem des Gehirns eingreifen und dabei Wahrnehmung, Gedächtnis, Stimmung und Verhalten beeinflussen.

Drei Grundbegriffe helfen, zu verstehen, wie sich fortgesetzter Rauschdrogenkonsum auswirkt:

Toleranz

Kontinuierlicher Konsum erzeugt eine Toleranz gegenüber den Rauschdrogen, sodass immer größere Dosierungen nötig sind, um denselben Effekt zu erzielen.

Abhängigkeit

Abhängig sein bedeutet, dass es dem Betroffenen entweder gar nicht oder nur unter starken Unlustgefühlen möglich ist, auf den Konsum der Droge zu verzichten. Dabei wird unterschieden nach psychischer und physischer, das heißt körperlicher Abhängigkeit. Mit der Toleranzbildung geht die körperliche Abhängigkeit Hand in Hand. In diesem Prozess passt sich die Physiologie des Körpers an die fortwährende Zufuhr der chemischen Substanz an und wird so von ihr abhängig. Die Ursache liegt darin, dass aufgrund der ständigen Anwesenheit der Droge bestimmte körpereigene Neurotransmitter nur noch vermindert zur Verfügung stehen. In der Regel tritt zuerst eine psychische Abhängigkeit ein. Man versteht darunter das seelische Verlangen nach Wiederholung des Suchtmittelkonsums oder des süchtigen Verhaltens. Psychische Abhängigkeit entwickelt sich zumeist in einem längeren Prozess, „schleicht“ sich allmählich ein. Selbst von Fachkräften ist sie nur schwer eindeutig festzustellen. Bei fortgeschrittenem Konsum kann es je nach Suchtstoff zu einer körperlichen Abhängigkeit kommen. Von körperlicher Abhängigkeit wird gesprochen, wenn sich beim abrupten Entzug des Suchtmittels bestimmte körperliche Symptome, Entzugserscheinungen, feststellen lassen. Diese sind – je nach Art der Droge und je nach Person so- Abhängigkeit/Sucht aus psychologischer Sicht wie den jeweiligen Umständen – unterschiedlich. Sie können in vielen Fällen nur unangenehm, in anderen Fällen aber auch extrem schmerzhaft und sogar tödlich sein. Das psychische und körperliche Verlangen nach dem Suchtmittel kann bei fortgesetztem regelmäßigem Gebrauch zu einem Abstinenzverlust – der mangelnden Fähigkeit, auf das Suchtmittel zu verzichten, – führen.

Außerdem kann es – je nach Art des Suchtmittels – zu einer Toleranzausbildung und in der Folge zu einer Dosissteigerung kommen. Der Stoffwechsel passt sich der Droge an, indem er den Drogenabbau beschleunigt, und das Zentralnervensystem passt sich an, indem es ihm gelingt, auch noch unter höheren Dosen relativ „normal“ zu funktionieren. Dadurch kommt es zur Gewöhnung, eben der Toleranz, und zu der Notwendigkeit, die Dosis zu erhöhen, um die gewünschte Drogenwirkung wieder erzielen zu können. Nach dem allgemein verbreiteten traditionellen Krankheitsmodell des Alkoholismus, das auf E. M. Jellinek beruht, kann der Konsum von Alkohol bei manchen Personen schließlich zum Kontrollverlust führen, definiert als Zustand des „Nicht-Aufhören-Könnens“. Von Missbrauch oder schädlichem Gebrauch psychoaktiver Substanzen spricht man, wenn das Suchtmittel konsumiert wird, obwohl negative gesundheitliche oder soziale Folgen sichtbar oder spürbar werden – ohne dass eine Suchtkrankheit eingetreten ist.

Als negative Folgen gelten beispielsweise Alkoholfolgekrankheiten, aber auch psychosoziale Schwierigkeiten, die durch den Konsum des Suchtmittels ausgelöst werden. Nicht jeder Missbrauch beruht auf Abhängigkeit – und führt auch nicht zwangsläufig in eine Abhängigkeit. Die Unterscheidung zwischen Abhängigkeit und Missbrauch darf aber nicht so interpretiert werden, dass Missbrauch als harmlos angesehen wird. Missbrauch bleibt Missbrauch! Die weitaus größte Zahl der alkoholbedingten Schäden zum Beispiel sind dem Alkoholmissbrauch zuzuschreiben. Der häufig verwandte Begriff Alkoholismus wird mitunter unscharf benutzt, indem er die zwei Phänomene – Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit – umschreiben soll, die jedoch voneinander getrennt werden müssen. Obwohl Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit in Beziehung zueinander stehen und fließende Übergänge haben können, bestehen in Prognose und Behandlung deutliche Unterschiede. Der Begriff „Alkoholismus“ sollte nur im Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit verwendet werden.

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Sucht

Aus Toleranz und Abhängigkeit resultiert am Ende die Sucht. Wer auf diese Weise von einer Rauschdroge abhängig ist, erlebt bei deren Abwesenheit unangenehme Entzugserscheinungen wie beispielsweise Zittern, Schweißausbrüche, Schwindelgefühle oder Krämpfe bis hin zu Herzinfarkt, Gehirnschlag oder Tod. Sucht kann heute definiert werden als zwanghaftes Verlangen nach bestimmten Substanzen oder Verhaltensweisen, die tiefgreifende, belastende Missempfindungen vorübergehend lindern oder erwünschte Empfindungen auslösen und die konsumiert bzw. beibehalten werden, obwohl damit negative Konsequenzen für die eigene Person oder andere verbunden sind. Die Erkenntnis, dass das Phänomen „Sucht“ nicht unbedingt und nicht alleinig eine vom Suchtstoff ausgelöste Dynamik innehat, sondern die gesamte Persönlichkeit umfasst, hat in der Praxis zu einer Erweiterung des Suchtbegriffs auf nichtstoffliche Süchte – die suchtmittelungebundenen „Verhaltenssüchte“ – geführt. Hierzu werden von einigen Fachleuten beispielsweise Spiel- oder Arbeitssucht gezählt oder auch bestimmte Störungen im Essverhalten (Fett- oder Magersucht).

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